Samstag, 4. Februar 2012

Öffentliche Kommunikation über Syrienkonflikt

Unausgewogene Gewichtung in der derzeitigen Berichterstattung deutscher Leit-Medien

Die Darstellung des internen gesellschaftlichen Konflikts in Syrien und seiner Bearbeitung in der internationalen Politik (UNO etc.) in den deutschen Medien ist nicht völlig einseitig. Auch Gegenpositionen, verschiedene Argumente, Pros und Contras werden erwähnt. Allerdings hat die Anordnung und Gewichtung der meisten Berichte einen klaren Bias, ein deutliches Gewicht auf bestimmten Positionen und Perspektiven. Die Schlagzeilen der Berichterstattung sind großteils für eine relativ deutliche Wertung des Syrienkonflikts in gute Oppositionsgruppen und verbrecherische Regierung aufgeteilt. Eine Differenzierung findet in den (kommunikativ wichtigen) Schlagzeilen und großen Aufmachern nur wenig statt. Gegenargumente und anderen Perspektiven zur Differenzierung werden in deutlich kleineren Absätzen und teils auch von vorneherein negativ wertend dargestellt.

Syrienkonflikt: Medien derzeit mit Bias für die Oppositionsseite

Im Fall Syrien, wie auch schon großteils im Fall Libyen, sind viele Medien in ihrer Berichterstattung deutlich - nach meiner Einschätzung etwas zu - überzeugt, wie die Rollen von schuldig und unschuldig im innerstaatlichen Konflikt in Syrien verteilt seien. Exemplarisch dafür einige größere Schlagzeilen:

Massaker in Homs. Beisetzung der "Märtyrer" im "Freiheitspark" Süddeutsche Zeitung online, 04.02.2012

"Märtyrer" und "Freiheitspark" werden hier immerhin nicht als eigene Meinung wiedergegeben. Aber die Überschrift insgesamt übernimmt nur die, wie in den Artikeln auch teilweise erwähnt wird, bisher nur sehr indirekt bestätigten und teils abweichenden Angaben bestimmter Oppositionsgruppen. Diese müssen nicht falsch sein, könnten es aber. Auch Oppositionsgruppen haben Interessen und das ist soweit auch ganz normal. Die Darstellungen der Oppositionsgruppen bzw. hier der Konfliktparteien in einem Bürgerkrieg sind durchaus sehr relevant und sollten ihre Erwähnung in jeder differenzierten Berichterstattung finden. Als unabhängiges Medium sollte man meiner Meinung nach jedoch nicht (ohne die Parteilichkeit - egal von welcher Seite - der Quellen zu erwähnen) große Schlagzeilen machen, die sich inhaltlich und in der Wirkung alleine auf eine Seite in einem Konflikt bezieht.

Blutnacht in Syriens Protesthochburg Homs BILD online, 04.02.2012

Seit fast einem Jahr kämpfen die Syrer für ihre Freiheit – Tausende starben. [...] Aller Gewalt in Syrien zum Trotz hat Russland seine Drohung wahr gemacht und auch die jüngste Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats mit seinem Veto platzen lassen. RTL online, 04.02.2012

Die Einteilung vieler, zumindest deutscher, Medien ist trotz komplexer Lage recht klar: Syrien: Aufständische gut, Regierung böse. Dieser Bias ist emotional nicht unverständlich, aber für die differenzierte Betrachtung zu einseitig und teilweise zu oberflächlich, bzw. aus meiner Sicht zu viel ideologie-orientiert und zu wenig die soziologischen Grundlagen analysierend.

Es gibt gute Argumente, die für eine Absetzung von autoritären Staats-Positionären wie u.a. Baschar Hafiz al-Assad, sprechen. Das heißt aber eben (leider) noch nicht, dass alle Gegner von diesen Positionsinhabern deshalb selbst große Anhänger von strukturellen Veränderungen wären oder selbst nicht "Kalif anstelle des Kalifen" werden wollten. Es gibt also auch in einer Euphorie des Umbruchs und der verständlichen Hoffnung auf positive Veränderungen auch Argumente für Differenzierung und Ausgewogenheit, die man zumindest darstellen und in eine Abwägung einbeziehen sollte. Allein schon die Interpretation davon, was eine positive Veränderung ist, weicht oftmals zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Perspektiven deutlich ab. So begrüßten z.B. viele Gruppen in Ägypten das Ende der autoritären Regierung von Husni Mubarak. Aber wie sich die Struktur in Ägypten nun entwickelt ist aufgrund der sozialen und sozialdemographischen Situation nicht automatisch auf eine friedliche und demokratische Entwicklung aus. Auch in Syrien ist die Lage komplexer und taugt vermutlich nicht für eine pauschale Charakterisierung als Kampf "Diktatur gegen demokratische Rebellen". Auch und gerade aus verantwortungsethisch motivierter und soziologisch fundierter realpolitischer Sicht wäre daher meiner Einschätzung nach eine Differenzierung der Lage in Syrien (und anderer, unweigerlich im Umbruch befindlicher Gesellschaften) durchaus sowohl für die humanitäre wie auch die sicherheitspolitische Perspektive empfehlenswert.

Auch viele deutsche Medien erwähnen, dass es sich in Syrien vermutlich um einen Bürgerkrieg mit verschiedenen Parteien handelt, die alle (auch) mit Kriegsmethoden vorgehen. Dieser etwas differenzierteren Beschreibung reicht es nicht zur Schlagzeile, aber sie wird, und das ist lobenswert, immer wieder erwähnt.

Nach Informationen der Korrespondentin des Senders im Libanon attackierten vor dem Gewaltexzess Mitglieder der Freien Syrischen Armee Kontrollpunkte der regulären Truppen. Dabei seien etwa zehn Soldaten ums Leben gekommen. Danach sei offensichtlich ein Stadtteil von Homs ständig beschossen worden. Mehrere Häuser seien zerstört worden. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite für die Angaben aus Syrien gab es nicht. Quelle: Welt online

Einen Beitrag aus seiner realpolitisch-soziologischen Perspektive hat Gunnar Heinsohn auf Achgut veröffentlicht. Er skizziert dabei anhand verschiedener sozialer Gruppen in Syrien, dass die Lage dort etwas komplizierter sein könnte, als es durch das Freiheit-Unterdrückung- oder Schwarz-Weiß-Schema im Schlagzeilenformat dargestellt werden kann.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Handeln ja
Aufgrund einer Vorfestlegung oder aufgrund einer differenzierten...
Klovkolosch - Do, 7. Jun, 12:06
Libyen in Leitmedien...
Die Situation in Libyen war und ist nicht gleich wie...
Klovkolosch - Mo, 20. Feb, 12:40
Soziologie in komplexen...
In Doha ist der Soziologie-Professor Burhan Ghaliun...
Klovkolosch - So, 19. Feb, 10:06
Scholl-Latour zu Syrien
Peter Scholl-Latour. Medienstar. Aber vermutlich auch...
Klovkolosch - Mi, 8. Feb, 13:00
Russland old school
Die Regeln und Rechtsformen, auf denen die klassische...
Klovkolosch - Di, 7. Feb, 23:50

Links

Suche

 

Status

Online seit 4457 Tagen
Zuletzt aktualisiert: Do, 7. Jun, 12:09

Credits


Internationale Lage
Syrienkonflikt
Über den Blog
UN-Debatte
Völkerrecht
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren