Donnerstag, 7. Juni 2012

Handeln ja

Aufgrund einer Vorfestlegung oder aufgrund einer differenzierten Lage-Analyse?

Istanbul (dapd). Außenminister Guido Westerwelle hat mit großer Besorgnis auf Meldungen über ein neues Massaker in der syrischen Provinz Hama reagiert. Die Nachrichten, sollten sie zutreffen, seien schockierend und zeigten, "wie dringlich das Handeln der internationalen Gemeinschaft ist", sagte der FDP-Politiker am Donnerstag in Istanbul. Gleichzeitig kündigte der Minister eine Erhöhung der humanitären Hilfe für Syrien um 2,1 Millionen auf dann 7,9 Millionen Euro an. Westerwelle mahnte, das Sterben gehe weiter, "nicht nur dann, wenn wir davon erfahren".

[...]



Quelle für auszugsweises Zitat: dapd,
Welt Online

Die Nachrichten, sollten sie zutreffen,...
Genau das ist ja eines der Probleme der Einschätzung der Situation in Syrien. Man weiß nicht, ob die Meldungen stimmen und wer für welche Taten oder das Propagieren von Taten verantwortlich ist.

Daraus kann folgendes Problem entstehen (wenn man sich nicht schon von vorneherein auf eine "Seite" bzw. einen Ergebniswunsch für den Ausgang des inner- und extra-gesellschaftlichen Konflikts in Syrien festgelegt hat):

...zeigten, "wie dringlich das Handeln der internationalen Gemeinschaft ist"...

Dringlichkeit kann - besonders bei humanitären Notlagen (wenn diese eben keine propagandistische Einseitigkeits-Instrumentalisierung darstellen) gegeben sein, eine fundierte und differenzierte Lageanalyse gehört - außer konkret vor Ort in einer Notwehrsituation - aber zu einem verantwortlichen Handeln dazu. Und dann stellt sich die Frage, welches Handeln gegenüber diesem Konflikt ausgewogen und passend sein könnte. Ein Konflikt, der auf innergesellschaftlicher Ebene ausgetragen wird und demographisch mit Gewaltpotenzial ausgestattet ist. Der aber zusätzlich und ebenfalls konfligierend von etlichen Außeneinflüssen mitbedingt wird.

Montag, 20. Februar 2012

Libyen in Leitmedien etwas differenzierter

Die Situation in Libyen war und ist nicht gleich wie die in Syrien. Aber dem Versuch einer differenzierten Darstellung sind beide zugänglich.

'Welt online' hat heute einen relativ differenzierenden Bericht über (evtl. exemplarische) Vorgänge in Libyen rund um Misrata - während des Krieges, deren propagandistische Verarbeitung und nun in der Situation nach dem Umsturz.

Auszüge aus dem Welt online-Artikel:

Gewalt im Krieg:

Die wütenden Brandschatzer, die noch heute immer mal wieder auf der Suche nach Brauchbarem zurückkehren, sind die Milizen aus Misrata, jener Hafenstadt, die im vergangenen Jahr drei Monate lang von Gaddafi-Truppen eingeschlossen und Tag und Nacht bombardiert worden war. Gaddafis Armee hatte damals das nur 50 Kilometer entfernte Tawergha als Hauptquartier gewählt.

Dort wurden Soldaten rekrutiert, Vorstöße in das von Rebellen besetzte Misrata gestartet und Raketen abgeschossen.


Propaganda im Krieg (mit oder ohne gewissen Wirklichkeitsgehalt):

„Die Soldaten aus Tawergha haben die schrecklichsten Schandtaten verübt, Opfer grausam ermordet und Hunderte von Frauen unter dem Einfluss von Viagra vergewaltigt“, berichten jene Libyer, die auf Seiten der Revolution stehen.

Der Vorwurf der Massenvergewaltigungen konnte allerdings von Menschenrechtsvereinigungen nicht bestätigt werden, weder von Amnesty International (ai), noch von Human Rights Watch (HRW) oder Médecins Sans Frontières (MFS).


Gewalt als Rache und Machtdemonstration nach dem Krieg:

[...]
Tawergha wurde nach dem offiziellen Ende der Revolution am 23. Oktober systematisch zerstört. Haus für Haus, Wohnung für Wohnung geplündert und angezündet. Die wenigen verbliebenen Bewohner wurden vertrieben – wenn man sie überhaupt am Leben ließ.
[...]
Die Kämpfer aus Misrata kümmerte das nicht: Tawergha bekam ihren Hass und ihre Rache zu spüren, um die Rückkehr der Bevölkerung – überwiegend Libyer aus dem Süden des Landes mit dunkler Hautfarbe – unmöglich zu machen. Der Hass der Misrata-Milizionäre verfolgt die Einwohner von Tawergha bis in die Hauptstadt: Anfang Februar töteten die Rachsüchtigen fünf Flüchtlinge bei einem Angriff auf ein Lager in Tripolis.


Gewalt in der nach dem formalen Umsturz folgenden Restrukturierung der politischen Herrschaft*. Im Kampf um die neuen Positionen und gegen alte und möglicherweise neue Konkurrenz, d.h. gegen praktische oder auch nur als solche konstruierter potenzielle Gegner:

Die Politik der verbrannten Erde verfolgten die rund 250 Milizen Misratas nicht nur in Tawergha. Sie bombten auch Sirte völlig aus, bevor sie plünderten. Bani Walid, eine andere Hochburg des gestürzten Regimes, erlitt das gleiche Schicksal.

Die Menschen in Misrata verlassen sich auf die Waffenmacht der Milizen, die nicht daran denken, dem Aufruf des NTC Folge zu leisten, ihre Waffen abzugeben. Mit der Waffe, so ihre Befürchtung, geben sie auch ihre Möglichkeit ab, sich im zukünftigen Staat Macht und Einfluss zu sichern.

Mit der Einhaltung der Menschenrechte nimmt man es dabei nicht so genau. Die medizinische Hilfsorganisation MFS stellte im Januar ihre Arbeit in der Hafenstadt ein, weil die Helfer oft gerufen wurden, um Folteropfer in einen gesundheitlichen Zustand zu versetzen, der es den Folterknechten erlaubte, sie weiter zu quälen.



Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass in Libyen die Lage vor dem und während des Bürger- und Interventions-Krieges nicht so eindeutig und nach dem Gut/Böse-Schema war, das viele Medien mitgetragen haben. Libyen weist auch nach dem Krieg bzw. zunächst oberflächlichen Umsturz bisher die gleiche soziologisch unklare bzw. noch ungeordnete Lage auf. Eine Neuordnung entlang der soziologischen Verhältnisse, die sich in Handlungs- und Strukturierungs-Verhältnissen ausdrückt, braucht bei komplexer Lage meist etwas länger. Das wird in Libyen die nächsten Monate und evtl. Jahre anstehen. In Syrien hingegen sind die Verhältnisse vermutlich anders, da die aktiven Umsturz-Gruppen eher eine Minderheit repräsentieren. Die Gruppen, die für eine Anpassung der politischen Strukturen an die soziale Grundstruktur auf dem Reform-Wege stehen machen heute wohl ein starkes Gewicht in Syrien aus und sind ohne Intervention von Außen nicht schnell umzustürzen. Die Bewahrung bestimmter politischer und rechtlicher Verfasstheits-Merkmale ist daher in Syrien strukturell ein wichtiger Faktor. Man sollte dem in der Analyse der Lage Rechnung tragen und keine der Gruppen und Seiten verherrlichen oder als einzige Bösewichte darstellen. Das wäre erstens sachfremd und zweitens (hoffentlich) unter dem menschlich möglichen Potenzial zur Erfassung und Differenzierung von gesellschaftlichen Vorgängen.


___
* Die Restrukturierungsphase nach einem Umsturz bzw. während einer Umbruchzeit ist Ausdruck der sozialstrukturellen Situation einer Gesellschaft. Libyen hat viele junge Menschen, die nach Positionen streben und einige verschiedene, teilweise um die gleichen Bereiche konkurrierende, sozialen Gruppen (die je nach Konstruktion z.B. ethnisch, religiös, wirtschaftlich oder anderweitig sozial voneinander abgegrenzt sind).

Sonntag, 19. Februar 2012

Soziologie in komplexen Konflikten

In Doha ist der Soziologie-Professor Burhan Ghaliun als Präsident des oppositionellen Syrischen Nationalrats (SNC) bestätigt worden. Die Mitglieder des Oppositionsbündnisses hätten Ghaliuns Amtszeit bei ihrem Treffen in Doha am Mittwoch um weitere drei Monate verlängert, sagte die SNC-Sprecherin Basma Kodmani.

Quelle für auszugsweises Zitat: Tagesspielgel online, AFP/dpa/rtr

Ein Soziologieprofessor könnte helfen, die komplexe Lage der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Perspektiven der syrischen Gesellschaft etwas zu ordnen bzw. aufzuhellen. Die Sozialisation und gesellschaftliche Position von Gruppen und Individuen prägt deren Interpretationshotizont und ihre Handlungen.

Überparteiliche Analysen der sozialen Relationen und Verhältnisse in Syrien gibt es aber bisher wenig. Die Informationslage bleibt auch weiter dürftig. Die Haltungen vieler Berichte und Stellungnahmen sind demgegenüber relativ eindeutig. Vielleicht behält man am Ende recht, lag also mit der Einschätzung bzw. im Tippspiel richtig. Aber vielleicht liegt das dann wiederum nur an Erfolg und Ausgang des derzeitigen Umbruchs in Syrien. Bisher ist dieser noch unbestimmt, also innerhalb der Muster der Notwendigkeit offen (= nicht konkret vorhersagbar).

Mittwoch, 8. Februar 2012

Scholl-Latour zu Syrien

Peter Scholl-Latour. Medienstar. Aber vermutlich auch tatsächlich ein profunder Kenner bestimmter Weltregionen, Kulturen und Soziologien. In einem kurzen Interview mit der Passauer Neuen Presse gibt Scholl-Latour eine knappe Lageeinschätzung zu Syrien. Diese schildert in Kürze ein wenig die Uneindeutigkeit der Situation. Überschrift, Einleitung und Fragestellung sind hier stark von der festen Überzeugung des Artikelschreibers geprägt. Daher muss man aufmerksam lesen, um die Einschätzung Scholl-Latours von der Einbettung in die Bewertung des Artikels darumherum zu trennen.

In der Einleitung der Zeitung vor dem Interview wird eine derzeit medial vielfach wiederholte implizite Gleichsetzung vorgenommen. Ein "Eingreifen" der UN(O)* wird mit einem (einseitigen) Handeln gegen die bisherige syrische Regierung und damit pauschal für die Opposition gleichgesetzt.

Trotz aller Hilferufe der Arabischen Liga und neuer Gewaltexzesse kann sich die Weltgemeinschaft im Syrienkonflikt nicht zu einem Eingreifen durchringen. Bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York blieb Russland bei seinem Nein zu Sanktionen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad.Quelle: Passauer Neue Nachrichten

Solche eindeutigen Parteinahmen kann man u.a. mit emotionaler Betroffenheit durchaus erklären. Aber gemäß einer tiefergehenden Analyse der tatsächlichen Situation - über die Projektion von Gut gegen Böse auf den Syrienkonflikt hinaus - halte ich solche Vorfestlegungen auf bestimmte Handlungs"notwendigkeiten" der UNO (oder ohne UNO-Zustimmung, wegen der "Blockierer") für zu unausgewogen.

In einem Kontinuum zwischen gar keiner Reaktion der Staaten-Welt und einem Einmarsch von nicht UN-mandatierten Truppen in Syrien gibt es (hoffentlich) durchaus mehr Optionen als nur einseitige Maßnahmen. Entscheidend sollte (zumindest im Ideal) sein, wie die Lage vor Ort, der Menschen und der sozialstrukturellen Situation, eingeschätzt werden kann. Und hier ist Syrien eben in Hinsicht auf Regierung/Opposition und auf die verschiedenen sozialen Gruppen im Land eigentlich zu komplex für die "Klare Sache"-Karte.

Die Offenheit der Analyse, wie die Lage ist und welche Optionen völkerrechtlich und praktisch zur Verfügung stehen wird derzeit in vielen (nicht allen) klassischen Medien mit einer (zu einfachen) Festlegung auf ein bestimmtes "Gut/Böse"-Szenario eingeschränkt. In Notsituationen ist ein Handeln aufgrund einer bestimmten ad-hoc-Einschätzung von Gefahr im Verzug eventuell unumgänglich. In der derzeitigen schwierigen Informationslage kann allerdings bisher nicht von einer Völkermordgefahr oder anderen dringenden Großgefahren, die allein von der syrischen Regierung ausgehen würden, ausgegangen werden.

Peter Scholl-Latour sagt u.a. im oben zitierten Interview:

[Passauer Neue Nachrichten:] Wie lange wird das Regime von Assad noch halten?

Scholl-Latour: Das lässt sich schwer sagen. Ich habe Assad noch vor zehn Tagen getroffen. Damals war Damaskus noch völlig ruhig. Assad wirkte sehr locker. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sein Regime dabei ist zu kippen. Es wird sich jetzt zeigen, ob sein Familienclan und die Aleviten, die in Armee und Geheimdienst die Führungspositionen besetzen, noch vorbehaltlos zu ihm stehen. Ich habe den Eindruck, dass die Masse der syrischen Bevölkerung Ruhe haben will. Der Mittelstand will keine Zustände wie im Irak oder in Libyen. Man darf nicht vergessen: Syrien ist der letzte verbliebene säkulare Staat in der arabischen Welt. Die christliche Minderheit im Land fürchtet nichts mehr als den Sturz von Assad.
Quelle für auszugsweises Interview: http://www.pnp.de/nachrichten/heute_in_ihrer_tageszeitung/politik/?em_cnt=332371

Die große Überschrift des Interviews passt meiner Interpretation nach nicht zu Tenor und Aussage-Zusammenhang dessen, was Peter Scholl-Latour gesagt hat. Sie passt eher zu der in der Einleitung stehenden (schon vorangestellten) Bewertung/Meinung (des Artikel-Verfassers), dass der Sicherheitsrat eigentlich längst etwas gegen die syrische Regierung unternehmen sollte. Dieser bestimmten Meinung entsprechend wird dann als Überschrift ein Satz aus dem Interview herausgenommen, der dazu passt:

"Den Sicherheitsrat kann man vergessen"
Quelle: Überschrift des Scholl-Latour-Interviews der Passauer Neue Nachrichten vom 02.02.2012

Auch die Unterüberschrift ist eher ein Kommentar. Als solcher wäre er in der Kommentarspalte auch legitim. Dem Interview schiebt er aber einen nicht zu dessen Inhalt passende Richtung unter:

Das Blutvergießen in Syrien geht weiter. Russland und China blockieren im Weltsicherheitsrat jede Verurteilung des Assad-Regimes. Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour beleuchtet in der PNP die Hintergründe. Quelle: Passauer Neue Nachrichten

Dienstag, 7. Februar 2012

Russland old school

Die Regeln und Rechtsformen, auf denen die klassische (moderne) Diplomatie beruht, eingebettet in das alte Völker(gewohnheits)recht, befinden sich derzeit im Umbruch. In der heutigen Umbruchphase ist noch nicht klar, wie die neue Grundstruktur der Weltordnung und ihrer allgemeinen Regeln sein wird. Auch wenn manche schon jetzt auf alles "Alte" dem vermeintlich bereits feststehenden "Fortschritt" zuliebe verzichten wollen. Sofort auf alle alten Umgangsformen und die symbolischen (oftmals praktisch wirksamen) Rituale zu verzichten hielte ich deshalb für vorschnell. Das wird auch nicht passieren, da die Zeit noch nichts so weit ist, da das Neue sich schon (in der Restrukturierungs- und Re-Etablierungsphase) klarer erkennbar etablieren würde. Russland, derzeitiger "Anachron" der Weltpolitik, setzt noch mal auf die alte, klassische Diplomatie unter (zumindest formal und rituell) als Souverän anerkannten Staaten. Es ist meiner Einschätzung nach den Versuch allemal wert. Denn dadurch hat man bessere Chancen (wie immer ohne Erfolgsgarantie), dass man sozialpsychologisch und soziologisch eher passend auf die Situation eingeht. Damit könnte man, wenn es klappt und die zur Verfügung stehende Zeit aufgrund der Entwicklung der Lage es zulässt, Zugang zur syrischen Staatsführung erhalten. Um diese zu überzeugen, an einen Verhandlungstisch mit den eigenen pluralen Unterstützergruppen und der ebenfalls vielschichtigen Opposition zu treten. Dieser Verhandlungs-Versuch (wieder ohne Erfolgsgarantie, gerade bei der sozialstrukturell "heißen" Lage in Syrien) könnte vielleicht eher zu Stande kommen, wenn man beiden Gruppen eine gewisse Anerkennung entgegenbringt. Das heißt derzeit auch, die Staatssouveränität und den Vertretungsanspruch der syrischen Regierung nach bisherigem Völkerrecht zu Beginn der Verhandlungen anzuerkennen und auch die Opposition bezüglich innerstaatlich legitimer Forderungen als Verhandlungspartei zu akzeptieren.

Entgegenkommen und ein gewisser diplomatischer Respekt also von beiden Seiten. Es sind viele Wenns und Obs im Raum. Aber wenn man das Ziel einer möglichst friedlichen und vor allem längerfristigen Stabilisierung der Lage in Syrien hat, sollte man diesen Verhandlungsweg zumindest versuchen. Unter Einbeziehung von möglichst vieler innergesellschaftlicher Gruppen, um die komplexe sozialstrukturelle Lage in Syrien annähernd wiederzugeben.

Syriens Staatschef Baschar al-Assad hat sich nach Aussage des russischen Außenministers Sergej Lawrow zur Beendigung der Gewalt in seinem Land verpflichtet. Assad sei entschlossen, sich für ein Ende der Gewalt einzusetzen, "von wo sie auch kommt", sagte Lawrow in Damaskus. Das US-Außenministerium reagierte skeptisch auf das Versprechen Assads, die Gewalt in seinem Land zu beenden.

Nach Aussage Lawrows sprach sich Assad für eine Fortsetzung und Ausweitung der Beobachtermission der Arabischen Liga aus. Assad wolle außerdem ein Datum für ein Referendum über die neue Verfassung ankündigen, die in den vergangenen Monaten ausgearbeitet worden war. Russland wolle sich für eine Lösung der Krise auf der Grundlage des Plans der Arabischen Liga einsetzen, sagte Lawrow.
Quelle für auszugsweises Zitat: http://de.nachrichten.yahoo.com/russlands-au%C3%9Fenminister-lawrow-trifft-assad-damaskus-061413814.html


Russland lud die Vertreter der Syrien-Konfliktparteien zum Verhandlungstisch nach Moskau ein. Dies gab am Dienstag der ständige UN-Vertreter Russlands Witali Tschurkin bei einer UN-Sicherheitsratssitzung bekannt. Mach seinen Worten würde so ein Treffen den Beteiligten eine Möglichkeit geben, „viele Fragen ohne jegliche Einschränkungen, einschließlich der Vorbereitung des innensyrischen Dialogs unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga“, zu diskutieren.

Die russische Initiative wurde auch von China unterstützt.

Früher sagte der Außenminister Russlands Sergej Lawrow, Moskau sei nicht unbedingt daran interessiert, dass der Präsident Bashar al-Assad an der Regierungsspitze bleibt. Die Syrier sollen selbst am Verhandlungstisch entscheiden, ob er bleibt oder geht.

Quelle für auszugsweises Zitat: http://german.ruvr.ru/2012/02/01/65071981.html

Sonntag, 5. Februar 2012

Zwischen den Fronten

Zwei Berichte über die Lage in Syrien. Erschienen im ideologisch sehr betonten altsozialistischen Blatt "Neues Deutschland". Es wird eine Perspektive dargestellt, die aus der Sicht mancher Syrer durchaus zutreffen könnte. Die Sicht, zwischen zwei (oder mehr) Fronten zu stehen. Zwischen einem autoritären Regime, das die bisherigen (lange Zeit relativ stabilen) Strukturen mit ihren etablierten Positionen erhalten will und einer Opposition, die in der strukturbeweglichen Zeit des Umbruchs die Positionen neu "verhandeln" bzw. erkämpfen will.

»Es ist die Zeit der Extreme auf beiden Seiten, niemand hört auf die Stimmen der Vernunft.« In ihrem Handeln seien das herrschende Regime und der im Ausland agierende Syrische Nationalrat gleich, der sich Anfang des Jahres mit der »Freien Syrischen Armee« zusammengeschlossen hat, sagt die Aktivistin: »Zwei Seiten einer Medaille.« Quelle: Neues Deutschland-Artikel

Dazwischen oftmals Zivilbevölkerung, die nicht eindeutig auf einer Seite steht. Weil sie entweder der falschen Gruppe (Ethnie, Religion, etc.) angehört. Oder weil sie sozialstrukturell weder Opposition noch bisheriges Establishment sind (z.B. aufgrund sozialer Verortung, z.B. als Landbevölkerung oder aufgrund beruflicher Zugehörigkeit, oder wirtschaftlicher Besonderheiten, etc.).

In einer turbulenten gesamtgesellschaftlichen Umbruchphase werden die sozialen Strukturen in Bewegung versetzt. Das betrifft im Prinzip alle Mitglieder einer Gesellschaft. Jeder muss sich irgendwie zu den sich verändernden Strukturen positionieren. In Bürgerkriegen heißt es dabei oft: Für uns oder gegen uns. Trotzdem geraten viele Menschen aufgrund verschiedener Faktoren oftmals zwischen die Fronten bzw. gehören keiner der "klaren" Feindgruppen (Repräsentanten der bisherigen Grundstruktur oder Vertreter der Veränderung) an. Das scheint auch in Syrien wieder viele Menschen zu betreffen.

Darum geht es (nach meiner Lesart) auch in den kurzen Eindrucksschilderungen der zwei oben verlinkten (ebenfalls nicht unparteiischen) Artikel.

Ausgewogenheit braucht mindestens Zwei

Sind Russland und China denn dann die (alleinig) Guten, wenn sie sich gegen die "westliche" Führungsrolle in der weltpolitischen Entwicklung stellen?

Nö.

Ich halte China innenpolitisch für ein autokratisches und normativ sehr kritikwürdiges Land, Russland in geringerem Maße ebenso. Die westlichen Staaten sind aber eben auch (noch) nicht nicht mehr verbesserungsfähig und vor allem: Trotz guter Institutionen machen auch sie Fehler, die Akteure in der Gesellschaft wie auch die Staaten in ihrer Außenpolitik. Daher müssen auch intern pluralistischer und rechtsstaatlich organisierte Staaten weiterhin in ihrer Struktur und Rollenwahrnehmung kritisiert und debattiert werden. Die Rolle der "westlichen" Länder ist derzeit die des weltgesellschaftlichen Vorreiters. Aber Vorreiten heißt nach meiner Einschätzung vor allem neue Entwicklungen als Erster auszudrücken und zu repräsentieren. Über den Inhalt und die normative und ethische Bewertung der Richtung, in die die Entwicklung geht ist damit noch nichts gesagt. Die Entwicklung der Strukturen kann, aber muss nicht immer "gut" oder "fortschrittlich" sein. Zumindest wenn man kein hegelianisches oder ähnliches Weltbild hat, nach dem der 'Weltgeist' die vorausgehenden/"führenden" Nationen immer besser macht. So gilt Kritik an Herrschaft und Positionsinhabern durchaus auch für westliche Staaten, wenn auch derzeit m.E.n. in deutlich geringerem Maße.

In der internationalen Politik ist es aber aktuell vielleicht besser, dass Russland und China (und teilweise viele der "G77"-Staaten) als ausgleichende Kräfte ein zu einseitig "westlich" bzw. eine von bestimmten subjektiven Interessen (bzw. struktureller Rolle und deren Normen) geführte Entwicklung ausgleichen. Mit natürlich wiederum eigenen Interessen und eigener Rolle in der internationalen Staatenwelt, die ebenfalls subjektiv sind. Aber dadurch kommt eventuell ein inter-subjektiv ausgewogeneres Bild zu Stande. Nicht ideal, vielleicht nicht einmal "gut". Aber vielleicht als kleineres Übel insgesamt bezogen auf eine relativ behutsamere Entwicklung der internationalen Beziehungen unter Einbeziehung nicht nur der "Avantgarde" der westlichen und westlich strukturierten Staaten. Und auch für das Ernstnehmen des Völkerrechts als eigenständig fassbares Phänomen und daher seine schrittweise und relativ abgewogene (und im Ideal auch ausgewogene) Anpassung an die praktischen Verhältnisse – unter Beibehaltung seines Anspruchs, gegenüber konkreten Erscheinungen in der Weltpolitik auch kontrafaktisch zu wirken. Plädiert wird hier also für eine (letztlich unvermeidliche) Verankerung des Völkerrechts in den Grundstrukturen der Weltpolitik und deren Praxis. Aber in der Anpassung an Veränderungen dabei für eine gewisse Behutsamkeit und nicht nur als (überstürztes) rechtsrealistisch-faktisches Anpassen an alle, teils nicht dauerhaften Pendelausschläge (die besonders innerhalb einer turbulenten Umbruchphase widersprüchlich und „unklar“ sein können).

Das rechtsrealistische Element meiner derzeitigen Völkerrechtsauffassung ist also, grob zusammengefasst: Das Völkerrecht muss an die international praktizierte Politik angepasst werden, um die notwendige Verankerung in bzw. mit der Praxis zu haben. Das Völkerrecht muss also (letztlich immer) die strukturellen Gegebenheiten aufnehmen, verarbeiten und repräsentieren. Dabei aber eben als Ordnungselement anhand der Grund-Linien der Entwicklung und nicht als bloße 1:1-Wiedergabe der jeweils tagesaktuellen Ereignisse.

Was sich letztlich auf längere Sicht (in der Restrukturierungsphase der weltpolitischen Ordnungsebene) als neue stabile Rechtsauffassung durchsetzt ist noch nicht klar. So lange sollte sich das Völkerrecht auch noch nicht auf eine bestimmte Stoßrichtung (die eben auch ein kurzfristiger Pendelausschlag sein könnte) festlegen. Wenn etwas sich dann als langfristiger und allgemeiner durchgesetzt herausstellt (sei es nun z.B. die "Responsibility to Protect, in irgend einer Form oder etwas anderes), dann kann und sollte das Völkerrecht diesem Umstand Rechnung tragen. Aber es sollte eben nicht schon am Anfang einer Umbruchphase eine Festlegung auf bestimmte Möglichkeiten geschehen, die in der instabilen/beweglichen Phase einer Veränderungszeit sich noch nicht als allgemein tragfähig erwiesen haben. Gut Ding will (etwas) Weile haben. Denn wenn das Völkerrecht jede kurzfristig heiß debattierte Möglichkeit sofort umsetzen würde, wäre es meiner Einschätzung nach zu sprunghaft und entspräche sozusagen tendenziell einem "reinen Rechtsrealismus". Dann würden die rechtspositivistischen und (neo-)naturrechtlichen Elemente bzw. Potenziale des Völkerrechts sich nicht entfalten.

Darstellungen der UN-Debatte

Wir befinden uns derzeit in einer sozialen Umbruchphase bzw. -phasen. Innerhalb vieler Gesellschaften werden die technologischen, kommunikativen und ökonomischen Veränderungen in einem strukturellen Umbrechen nachvollzogen. Einen Umbruch struktureller (tiefergehender) Art gibt es aber meiner Einschätzung nach derzeit auch in der internationalen Staaten-Welt. Viele bisher (offen) autoritär regierten Staaten bzw. deren Gesellschaften sind in (sozialstrukturelle) Bewegung geraten. Die Gesellschaftssituation, die aufgrund verschiedener Elemente auf Umbruch steht, drückt sich in grundstrukturellen Veränderungen aus. Als Folge dieser Veränderung kommt es in sozialdemographisch nicht saturierten Gesellschaften zu Positions-Verteilungskämpfen.

Die Aufstände gegen autoritäre Regime finden in verschiedenen Ländern mit auch unterschiedlichen konkreten gesellschaftlichen Strukturen statt. Die Aufstände und Veränderungen nehmen daher auch unterschiedliche Ausdrucksformen an. Die soziale Beweglichkeit der Umbruchzeit bedeutet primär eine Infragestellung und vielfach ein Wegschwemmen der bisherigen autoritäre Regime. Dies wird - und diese Ansicht teile ich - verständlicherweise grundsätzlich von den Meisten eher positiv interpretiert.

Dabei wird aber in den Medien oft - in einem gewissen Überschwang und in der Hoffnung, dass es nun (fast automatisch) besser werden müsse - die verschiedenen Gruppen, welche die Aufstände repräsentieren, gleich (zu) pauschal zu den "Guten" und auf der "richtigen" Seite gewertet. Nicht nur der (strukturbedingte und normativ zu begrüßende) Umbruch an sich wird in vielen Medien als grundsätzlich positiv dargestellt. Diese Einschätzung teile ich auch. Aber darüber hinaus werden auch (meiner Einschätzung nach) die Folgen und die reale Gestaltung des Umbruchs in den deutschen Medien derzeit überwiegend (zu) pauschal und undifferenziert als "gut" bzw. unterstützenswert präsentiert.

Mit diesem teilweisen unausgewogenen Bias korrespondiert die derzeitige (vom Umbruchs-Geist beseelte) Darstellung der unterschiedlichen Positionen innerhalb der internationalen Politik und gegenüber der Entwicklung, Auslegung und Anwendung des Völkerrechts. Die durchaus vorhandenen Argumente für Resolutionen, Maßnahmen und Sanktionen werden sehr groß und wertend sehr überwiegend als positiv dargestellt. Die Gegenargumente und Skeptiker bestimmter Entwicklungen (wie der derzeitigen Herausbildung einer Interventions-Tendenz bishin zu einer Debatte um eine dauerhafte Lizenz durch die UNO für bestimmte Staaten zur Durchführung von "Regime Changes") haben meiner Einschätzung nach aber auch bestimmte realpolitische und normative Argumente und Erfahrungen auf ihrer Seite. Diesen Positionen wird aber derzeit, im Überschwang der Umbrüche wie mir derzeit scheint, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Und wenn, dann leider oftmals nicht sachlich an den Argumenten orientiert, sondern negativ wertend nur als "Bremsklötze" und "Verhinderer" von humanitärem Fortschritt.

(Zu) Pauschales Unverständis für Skeptiker in UN-Sicherheitsrat und Staaten-Welt

Den "Bremsern" werden dabei sehr oft nur wirtschaftliche und sonstige "ungute" Interessen unterstellt. Verschiedene Interessen spielen in den internationalen Beziehungen und der Politik sehr vermutlich immer eine Rolle. Aber das dann eben nicht nur bei den "bösen Verhinderern", sondern auch bei den "guten Voranschreitern" und den "ambivalenten Abwartern". Eine differenziertere Darstellung der Debatte in der internationalen Staaten-Welt wäre hier angezeigt. Dabei unter Einbezug verschiedener Interessen und struktureller Positionen der verschiedenen Staaten und Regionen. Aber eben nach Maßstäben, die für die Staaten gleichermaßen angelegt werden sollten. Ebenfalls sollte das Völkerrecht, als kulturelle Errungenschaft, ernst genommen werden. Es ernst zu nehmen als eigenständiges Phänomen heißt in diesem Fall auch die Debatte um seine Auslegung, Anwendung und eventuelle Veränderung ernst zu nehmen und ausgewogen darzustellen. Eine Debatte, die ich vereinfacht derzeit sehe zwischen den (verschiedenen) Positionen einer "dynamischen Weiterentwicklung" des Völkerrechts in eine bestimmte Richtung ("Responsibility to Protect" etc.) und von (intern ebenfalls unterschiedlichen) Positionen, die dieser bestimmten Entwicklung (aus verschiedenen Gründen) skeptisch gegenüber stehen. Beide Positionen beinhalten und gründen auf verschiedenen Interessen, strukturellen Positionen/Rollen und normativen Argumenten. Daher sollte man auch beide in ihren internen und gegenüber einander differenzierten Bestandteilen darstellen und öffentlich kommunizieren.

Größere Ausgewogenheit wäre jenseits von undifferenziertem "Fortschritt" und Stillstand

Das Verhalten von Russland und China im UN-Sicherheitsrat wird von vielen Medien und manchen Akademikern gemäß einer zu Grunde liegenden (weltgesellschaftlich unausgewogenen) „Fortschritt“/“Verhinderer“-Dichotomie oftmals als (normativ oder realpolitisch) "völlig unverständlich" beschrieben. Russland und China legten als zwei der fünf ständigen UN-Sicherheitsrats-Staaten ihr Veto gegen eine, im Fall des Syrienkonfliktes von Marokko vorgeschlagene, Resolution ein. Diese wurde am 04.02.2012 etwas überraschend eingebracht, obwohl aufgrund der russischen Kritik und Veto-Ankündigung allgemein eher weitere Verhandlungen - und damit auch ein weiterer Austausch von Argumenten (und auch Interessen etc.) - erwartet worden waren.

Marokko sucht jetzt offenbar eine Entscheidung. Die Arabische Liga hatte zuvor an den Sicherheitsrat einen Appell gerichtet, der mehr einem Hilferuf glich. Die Weltgemeinschaft müsse die Gewalt in Syrien, der seit März mindestens 5600 Menschen zum Opfern gefallen sein sollen, stoppen. Im Gegensatz zu vielen anderen Gremien, auch der Vereinten Nationen selbst, war der Sicherheitsrat wegen der russischen und auch chinesischen Blockade bislang stumm geblieben. Quelle: Tagesspiegel online

Russland blieb aber, nicht überraschenderweise, bei der Haltung, die es zuvor erklärt hatte.

Lawrow hatte zuvor in München noch die Bedingungen dargelegt, unter denen Moskau einer Resolution zustimmen könnte. Der bereits modifizierte Entwurf der Arabischen Liga stelle eine Reihe von Forderungen an die Regierung Assads, während er von den im Land agierenden bewaffneten Gruppen nur verlange, die Gewalt einzustellen. Darin sehe Russland eine Parteinahme des Sicherheitsrates in einem Bürgerkrieg - was mit der UN-Charta nicht vereinbar sei. Quelle: Süddeutsche Zeitung online




Quelle: Russia Today (RT) [staatlicher russischer Nachrichtensender]


Opposition nach Syrien-Veto: «Lizenz zum Töten» ZEIT online

Die Verteilung der Rollen in gut/Fortschritt und böse/Fortschritts-Verhinderer in der internationalen Politik und in der Völkerrechts-Gestaltung ist meiner Einschätzung nach zu undifferenziert. Wie gesagt ist das wohl grundlegend dem Umbruch und seiner bewegenden Dynamik geschuldet. Wie man aber mit diesem Umbruch und dem dadurch 'In Bewegung geraten' umgeht und die Neustrukturierung der sozialen Bereiche (in diesem Fall u.a. der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts) gestaltet ist durchaus auch eine Frage der Debatte und der öffentlichen Kommunikation über Optionen und Perspektiven. Hierbei sehen viele Medien und auch akademische Beiträge den Fortschritt (relativ) eindeutig auf der Seite der derzeitigen Gestaltung/Weiterentwicklung der "Responsibilty to Protect", des Kapitels VII der UN-Charta etc. zu einer "Responsibilty to Regime Change". Probleme dabei sehen Gegenpositionen unter anderem in der Gefahr eines Automatismus von Interventionen, des Missbrauchs von allgemeiner UN-Legitimation durch bestimmte (z.B. westliche) Interessen und der Vereinnahmung der UN durch jeweilige Machtpräferenzen (entgegen des völkerrechtlichen Ideals der Verrechtlichung unter gleichem Recht aller Staaten). Ein weiteres Problem könnte nach meiner Einschätzung eine im Zuge der Entwicklung eventuell kommende Umgehung/Aufhebung der Sicherheitsrats-Vetomöglichkeit sein. Dies ist derzeit eine nicht direkt anstehende, aber mögliche Entwicklung im Zuge von Veränderungen des Völker-Gewohnheitsrechts. Dies ist schon praktiziert worden im Kosovo-Fall, der ohne die Zustimmung des Sicherheitsrats (wäre mindestens auch an Russland gescheitert) durch die NATO selbsttätig geführt wurde. Auch eine Reform des Sicherheitsrats könnte zu einer solchen Veränderung führen, die die bestehende Gewaltenteilung und "Checks and Balances" innerhalb der UNO deutlich reduzieren könnte. Ein gewisser Ausgleich könnte z.B. durch eine Aufwertung des Internationalen Gerichtshofs geschehen. Diese Aufwertung müsste allerdings sehr stark sein um die Dominanz des Faktischen bzw. der praktischen Politik innerhalb der UN und der internationalen Politik gegenüber der völkerrechtlich-justiziellen Ebene ernsthaft einschränken zu können. Eine solche Veränderung ist - im Gegensatz zu einer Führung von Kriegen außerhalb der bisherigen UNO-Kompentenz-Verteilung - noch nicht ernsthaft in der Debatte.

Samstag, 4. Februar 2012

Öffentliche Kommunikation über Syrienkonflikt

Unausgewogene Gewichtung in der derzeitigen Berichterstattung deutscher Leit-Medien

Die Darstellung des internen gesellschaftlichen Konflikts in Syrien und seiner Bearbeitung in der internationalen Politik (UNO etc.) in den deutschen Medien ist nicht völlig einseitig. Auch Gegenpositionen, verschiedene Argumente, Pros und Contras werden erwähnt. Allerdings hat die Anordnung und Gewichtung der meisten Berichte einen klaren Bias, ein deutliches Gewicht auf bestimmten Positionen und Perspektiven. Die Schlagzeilen der Berichterstattung sind großteils für eine relativ deutliche Wertung des Syrienkonflikts in gute Oppositionsgruppen und verbrecherische Regierung aufgeteilt. Eine Differenzierung findet in den (kommunikativ wichtigen) Schlagzeilen und großen Aufmachern nur wenig statt. Gegenargumente und anderen Perspektiven zur Differenzierung werden in deutlich kleineren Absätzen und teils auch von vorneherein negativ wertend dargestellt.

Syrienkonflikt: Medien derzeit mit Bias für die Oppositionsseite

Im Fall Syrien, wie auch schon großteils im Fall Libyen, sind viele Medien in ihrer Berichterstattung deutlich - nach meiner Einschätzung etwas zu - überzeugt, wie die Rollen von schuldig und unschuldig im innerstaatlichen Konflikt in Syrien verteilt seien. Exemplarisch dafür einige größere Schlagzeilen:

Massaker in Homs. Beisetzung der "Märtyrer" im "Freiheitspark" Süddeutsche Zeitung online, 04.02.2012

"Märtyrer" und "Freiheitspark" werden hier immerhin nicht als eigene Meinung wiedergegeben. Aber die Überschrift insgesamt übernimmt nur die, wie in den Artikeln auch teilweise erwähnt wird, bisher nur sehr indirekt bestätigten und teils abweichenden Angaben bestimmter Oppositionsgruppen. Diese müssen nicht falsch sein, könnten es aber. Auch Oppositionsgruppen haben Interessen und das ist soweit auch ganz normal. Die Darstellungen der Oppositionsgruppen bzw. hier der Konfliktparteien in einem Bürgerkrieg sind durchaus sehr relevant und sollten ihre Erwähnung in jeder differenzierten Berichterstattung finden. Als unabhängiges Medium sollte man meiner Meinung nach jedoch nicht (ohne die Parteilichkeit - egal von welcher Seite - der Quellen zu erwähnen) große Schlagzeilen machen, die sich inhaltlich und in der Wirkung alleine auf eine Seite in einem Konflikt bezieht.

Blutnacht in Syriens Protesthochburg Homs BILD online, 04.02.2012

Seit fast einem Jahr kämpfen die Syrer für ihre Freiheit – Tausende starben. [...] Aller Gewalt in Syrien zum Trotz hat Russland seine Drohung wahr gemacht und auch die jüngste Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats mit seinem Veto platzen lassen. RTL online, 04.02.2012

Die Einteilung vieler, zumindest deutscher, Medien ist trotz komplexer Lage recht klar: Syrien: Aufständische gut, Regierung böse. Dieser Bias ist emotional nicht unverständlich, aber für die differenzierte Betrachtung zu einseitig und teilweise zu oberflächlich, bzw. aus meiner Sicht zu viel ideologie-orientiert und zu wenig die soziologischen Grundlagen analysierend.

Es gibt gute Argumente, die für eine Absetzung von autoritären Staats-Positionären wie u.a. Baschar Hafiz al-Assad, sprechen. Das heißt aber eben (leider) noch nicht, dass alle Gegner von diesen Positionsinhabern deshalb selbst große Anhänger von strukturellen Veränderungen wären oder selbst nicht "Kalif anstelle des Kalifen" werden wollten. Es gibt also auch in einer Euphorie des Umbruchs und der verständlichen Hoffnung auf positive Veränderungen auch Argumente für Differenzierung und Ausgewogenheit, die man zumindest darstellen und in eine Abwägung einbeziehen sollte. Allein schon die Interpretation davon, was eine positive Veränderung ist, weicht oftmals zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Perspektiven deutlich ab. So begrüßten z.B. viele Gruppen in Ägypten das Ende der autoritären Regierung von Husni Mubarak. Aber wie sich die Struktur in Ägypten nun entwickelt ist aufgrund der sozialen und sozialdemographischen Situation nicht automatisch auf eine friedliche und demokratische Entwicklung aus. Auch in Syrien ist die Lage komplexer und taugt vermutlich nicht für eine pauschale Charakterisierung als Kampf "Diktatur gegen demokratische Rebellen". Auch und gerade aus verantwortungsethisch motivierter und soziologisch fundierter realpolitischer Sicht wäre daher meiner Einschätzung nach eine Differenzierung der Lage in Syrien (und anderer, unweigerlich im Umbruch befindlicher Gesellschaften) durchaus sowohl für die humanitäre wie auch die sicherheitspolitische Perspektive empfehlenswert.

Auch viele deutsche Medien erwähnen, dass es sich in Syrien vermutlich um einen Bürgerkrieg mit verschiedenen Parteien handelt, die alle (auch) mit Kriegsmethoden vorgehen. Dieser etwas differenzierteren Beschreibung reicht es nicht zur Schlagzeile, aber sie wird, und das ist lobenswert, immer wieder erwähnt.

Nach Informationen der Korrespondentin des Senders im Libanon attackierten vor dem Gewaltexzess Mitglieder der Freien Syrischen Armee Kontrollpunkte der regulären Truppen. Dabei seien etwa zehn Soldaten ums Leben gekommen. Danach sei offensichtlich ein Stadtteil von Homs ständig beschossen worden. Mehrere Häuser seien zerstört worden. Eine Bestätigung von unabhängiger Seite für die Angaben aus Syrien gab es nicht. Quelle: Welt online

Einen Beitrag aus seiner realpolitisch-soziologischen Perspektive hat Gunnar Heinsohn auf Achgut veröffentlicht. Er skizziert dabei anhand verschiedener sozialer Gruppen in Syrien, dass die Lage dort etwas komplizierter sein könnte, als es durch das Freiheit-Unterdrückung- oder Schwarz-Weiß-Schema im Schlagzeilenformat dargestellt werden kann.

Russland zu Syriensituation



Quelle: Handelsblatt online

Kommunikationsphilosophischer Idealismus dieses Blogs

Dieser Blog soll sein: Ein Versuch der Beschreibung einer anti-zyklischen Perspektive auf die derzeitige Entwicklung der internationalen Politik und des Völkerrechts. Einerseits: Um des konkreten Inhalts willen. Andererseits: In sozialer und philosophischer Absicht, um die Gesamtdarstellung der Entwicklung im Bereich des Blog-Themas (internationale Beziehungen, internationale Politik, Staaten-Welt, etc.) durch Perspektiven zu erweitern, die ebenfalls vorhanden sind, aber manchmal eher wenig beachtet werden.

Daher der Versuch einer möglichst differenzierten Darstellung von Argumenten, die nicht so stark in der medialen und akademischen Kampfzone vertreten sind. Dieses Differenzieren soll (möglich) sein, weil der Blog selbst keine der behandelten Perspektiven und "Seiten" in den heutigen weltpolitischen Auseinandersetzungen ideologisch die "seine" nennt. Der Blog ist also mit keiner der behandelten Perspektiven, Interessen oder Konstruktionen identisch. Er schlägt sich also, trotz mancher subjektiver Übereinstimmung mit mal der einen, mal der anderen Seite, insgesamt nicht emotional oder interessengeleitet auf eine bestimmte Seite. Die weniger artikulierten Meinungen und Perspektiven werden aber in diesem Blog bewusst öfters dargestellt, weil die jeweilige (auch intern natürlich differenzierte) "Mainstream"-Sicht ja schon ausführlich (daher auch Mainstream) in Medien und Akademie-Bereich dargestellt werden.

Das kommunikations-philosophische Ziel (bzw. selbstgestellte Aufgabe) dieses Blogs ist es, durch eine differenzierte Darstellung auch von Minderheitsperspektiven und deren Abwägungen zu den Mehrheitspositionen (aber auch von verschiedenen Positions-Paradigmen untereinander), die öffentliche Kommunikation zu den behandelten Themen mit einem kleinen Beitrag etwas ausgewogener zu machen. Ausgewogener heißt dabei zunächst, verschiedenen, inhaltlich mehr oder weniger stark unterschiedlichen Perspektiven einen Platz in der öffentlichen Darstellung zu geben. Wenn das (durch die verschiedenen Teilnehmer der Debatte) gelingt, könnte diese Differenzierung und Pluralisierung der Darstellung eventuell als weiterer Schritt bzw. Folge davon dazu führen, dass die öffentliche Darstellung des Themas nicht nur breiter (also sozial repräsentativer), sondern vielleicht teilweise und ab und zu sogar etwas tiefer wird.

So viel zunächst mal zum Idealismus des Blogs.

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