Mittwoch, 8. Februar 2012

Scholl-Latour zu Syrien

Peter Scholl-Latour. Medienstar. Aber vermutlich auch tatsächlich ein profunder Kenner bestimmter Weltregionen, Kulturen und Soziologien. In einem kurzen Interview mit der Passauer Neuen Presse gibt Scholl-Latour eine knappe Lageeinschätzung zu Syrien. Diese schildert in Kürze ein wenig die Uneindeutigkeit der Situation. Überschrift, Einleitung und Fragestellung sind hier stark von der festen Überzeugung des Artikelschreibers geprägt. Daher muss man aufmerksam lesen, um die Einschätzung Scholl-Latours von der Einbettung in die Bewertung des Artikels darumherum zu trennen.

In der Einleitung der Zeitung vor dem Interview wird eine derzeit medial vielfach wiederholte implizite Gleichsetzung vorgenommen. Ein "Eingreifen" der UN(O)* wird mit einem (einseitigen) Handeln gegen die bisherige syrische Regierung und damit pauschal für die Opposition gleichgesetzt.

Trotz aller Hilferufe der Arabischen Liga und neuer Gewaltexzesse kann sich die Weltgemeinschaft im Syrienkonflikt nicht zu einem Eingreifen durchringen. Bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats in New York blieb Russland bei seinem Nein zu Sanktionen gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad.Quelle: Passauer Neue Nachrichten

Solche eindeutigen Parteinahmen kann man u.a. mit emotionaler Betroffenheit durchaus erklären. Aber gemäß einer tiefergehenden Analyse der tatsächlichen Situation - über die Projektion von Gut gegen Böse auf den Syrienkonflikt hinaus - halte ich solche Vorfestlegungen auf bestimmte Handlungs"notwendigkeiten" der UNO (oder ohne UNO-Zustimmung, wegen der "Blockierer") für zu unausgewogen.

In einem Kontinuum zwischen gar keiner Reaktion der Staaten-Welt und einem Einmarsch von nicht UN-mandatierten Truppen in Syrien gibt es (hoffentlich) durchaus mehr Optionen als nur einseitige Maßnahmen. Entscheidend sollte (zumindest im Ideal) sein, wie die Lage vor Ort, der Menschen und der sozialstrukturellen Situation, eingeschätzt werden kann. Und hier ist Syrien eben in Hinsicht auf Regierung/Opposition und auf die verschiedenen sozialen Gruppen im Land eigentlich zu komplex für die "Klare Sache"-Karte.

Die Offenheit der Analyse, wie die Lage ist und welche Optionen völkerrechtlich und praktisch zur Verfügung stehen wird derzeit in vielen (nicht allen) klassischen Medien mit einer (zu einfachen) Festlegung auf ein bestimmtes "Gut/Böse"-Szenario eingeschränkt. In Notsituationen ist ein Handeln aufgrund einer bestimmten ad-hoc-Einschätzung von Gefahr im Verzug eventuell unumgänglich. In der derzeitigen schwierigen Informationslage kann allerdings bisher nicht von einer Völkermordgefahr oder anderen dringenden Großgefahren, die allein von der syrischen Regierung ausgehen würden, ausgegangen werden.

Peter Scholl-Latour sagt u.a. im oben zitierten Interview:

[Passauer Neue Nachrichten:] Wie lange wird das Regime von Assad noch halten?

Scholl-Latour: Das lässt sich schwer sagen. Ich habe Assad noch vor zehn Tagen getroffen. Damals war Damaskus noch völlig ruhig. Assad wirkte sehr locker. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sein Regime dabei ist zu kippen. Es wird sich jetzt zeigen, ob sein Familienclan und die Aleviten, die in Armee und Geheimdienst die Führungspositionen besetzen, noch vorbehaltlos zu ihm stehen. Ich habe den Eindruck, dass die Masse der syrischen Bevölkerung Ruhe haben will. Der Mittelstand will keine Zustände wie im Irak oder in Libyen. Man darf nicht vergessen: Syrien ist der letzte verbliebene säkulare Staat in der arabischen Welt. Die christliche Minderheit im Land fürchtet nichts mehr als den Sturz von Assad.
Quelle für auszugsweises Interview: http://www.pnp.de/nachrichten/heute_in_ihrer_tageszeitung/politik/?em_cnt=332371

Die große Überschrift des Interviews passt meiner Interpretation nach nicht zu Tenor und Aussage-Zusammenhang dessen, was Peter Scholl-Latour gesagt hat. Sie passt eher zu der in der Einleitung stehenden (schon vorangestellten) Bewertung/Meinung (des Artikel-Verfassers), dass der Sicherheitsrat eigentlich längst etwas gegen die syrische Regierung unternehmen sollte. Dieser bestimmten Meinung entsprechend wird dann als Überschrift ein Satz aus dem Interview herausgenommen, der dazu passt:

"Den Sicherheitsrat kann man vergessen"
Quelle: Überschrift des Scholl-Latour-Interviews der Passauer Neue Nachrichten vom 02.02.2012

Auch die Unterüberschrift ist eher ein Kommentar. Als solcher wäre er in der Kommentarspalte auch legitim. Dem Interview schiebt er aber einen nicht zu dessen Inhalt passende Richtung unter:

Das Blutvergießen in Syrien geht weiter. Russland und China blockieren im Weltsicherheitsrat jede Verurteilung des Assad-Regimes. Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour beleuchtet in der PNP die Hintergründe. Quelle: Passauer Neue Nachrichten

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